Oliven let die
In den letzten Monaten bin ich relativ viel Bahn gefahren. Es ist verrückt: Man setzt sich in die riesige Metallschlange, ein paar Stunden lang wackelt die Landschaft vorbei, man wird von Koffern angerempelt, die so groß sind wie Luxemburg und dann ist man plötzlich, wieder mal, in Köln.
Ich war dieses Jahr schon oft in Köln. Öfter, als ich mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt hätte. Aber davon erzähle ich ein anderes Mal. Stattdessen:
Heute fuhr ich also mal wieder nach Köln und konnte mich ungefähr eine Zehntausendstelsekunde darüber freuen, vielleicht einen Platz für mich zu haben, als ein Typ, der schon von zwei anderen Leuten von reservierten Plätzen gescheucht wurde, fragte, ob er sich auf den Fensterplatz neben mir setzen könnte. Ich schaute auf das „ggf. reserviert“-Schild, sagte „Vielleicht“ und machte ihm Platz.
Er wuchtete einen Rucksack, der so groß war, dass er vermutlich eine lebensgroße Nachbildung des Kölner Doms transportierte, in den Fußraum, stellte seinen linken Fuß dann bequem in meinem Fußraum ab, richtete sich häuslich ein, und begann sein Frühstück.
Natürlich ist es angebracht, im Zug zu versuchen, geruchsarme und nicht fettende Speisen zu verzehren. Aber natürlich sind Menschen wahnsinnig. Der Boy packte also eine Packung türkische Fladen mit Spinatfüllung, eine Packung eingelegte Oliven und mehrere deftige Pasten (Knoblauch, Basilikum?) aus, snackte vor sich hin und wischte sich die schmierigen Finger an der obligatorisch im Gepäcknetz zerknitterten DB MOBIL ab.
Nach diesem genussvollen Mahl macgyverte er aus seiner Jacke ein Kissen und lehnte sich ans Fenster um zu dösen. Aber nicht lange. Als der Schaffner zur Ticketkontrolle kam, musste er plötzlich extrem dringend zur Toilette. Nach zwanzig Minuten kam er zurück, aber nur, um seinen Rucksack zu holen. Jetzt waren die beiden zwar weg, aber seine Jacke hing noch am Haken am Fenster, wodurch sich bei mir noch keine Entspannung einstellen konnte.
Einige Minuten später kam er ein letztes Mal zurück, nahm mit einer Hand seine Jacke, und klopfte mir mit der anderen Hand dreimal aufmunternd auf den Oberschenkel. Ihr lest richtig: Ein völlig Fremder hat mir, ohne, dass es überhaupt notwendig gewesen wäre, auf den Oberschenkel geklopft. Entgeistert sah ich ihm nach, wie er in Hannover ausstieg. Hoffentlich bleibt er für immer dort und fährt nie wieder Zug. Für immer im Exil in Hannover.